„Senkungen“ feiert Premiere

Senkungen lautet das nüchterne Stichwort. Es beschreibt einen an sich ärgerlichen Zustand: ein Teil der Altstadt sackt ab, verschiebt die Topografie. Die Erde grummelt, irgendetwas stimmt offenbar nicht. Es handelt sich um den Boden über dem jahrhundertelang sehr profitablen Salzstock. Er garantierte früher einigen Bürgern immensen Reichtum und belastet heute die Bewohner. Bei den Ursachen tappen Experten im Dunkeln. Das Phänomen hält unvermindert an, sorgt für Abrisse und Umleitungen. Lässt sich daraus Theater machen?

Das berühmte Berliner Kollektiv „Rimini-Protokoll“ beweist das nachdrücklich, bekommt für seine szenischen Dokumentationen internationale Anerkennung. Diesen Pfaden folgt „lunatiks produktion“, ein Kreativteam, das bereits zwischen Basel und Kiel ambitionierte Vorhaben realisierte und nun in Lüneburg ein Recherche-Resultat dramaturgisch geschickt ausgestaltete: „Senkungen — Das Stadtprojekt über eine Stadt auf schwankendem Grund“ lautete der lange Titel, produziert im Theater-Studio, dem T.NT, wo die Uraufführung mit Begeisterung aufgenommen wurde.

Kein Klo, kein fließendes Wasser, keine Wärmedämmung, so umschrieb sich die Wohnsituation in der Altstadt bis in die 60er-Jahre. Den Bau-Jammer sollten Abrissbirnen in den Imperfekt befördern. Es gab Proteste, bald folgten Initiativen zur systematischen Sanierung des ramponierten Quartiers. Eine Erfolgsgeschichte begann, allerdings nicht für Geologen. Nach wie vor senkt sich das Areal, besonders verhängnisvoll in der Frommestraße.

Janette Mickan und Melanie Zemmler bauten aus wissenschaftlichen Erkenntnissen, historischen Tatsachen, politisch relevanten Fragen, ökonomischen Bedürfnissen und soziologischen Kontexten ein Szenario, das mit wenigen Requisiten (Bühne/Kostüme: Barbara Bloch) auskommt und ein Video optisch ins Zentrum holt. Darin taucht Hannes (Gregor Müller) auf, ein wissbegieriger Architekt, der die gefährlichen Bodenbewegungen erforschen will. Eine junge Frau sucht ihn vergebens, stößt auf das Filmmaterial und startet ihre eigene Recherche.

Eine aufregende Reise durch Ort und Vergangenheit ist die Folge, angereichert durch Begegnungen mit verschiedenen Menschen. Sie bilden die eigentlichen Protagonisten, erzählen von ihren Sorgen und Bedürfnissen, Erfahrungen und Einsichten, sehr authentisch verkörpert von Sigrid Meßner, Beate Weidenhammer, Nils Bannert und Paul Seegers.

Aufrisse, die von Träumen und Räumungen, von Hoffnungen und Enttäuschungen berichten: Biografische Schnipsel, die das gesamte Problem aus unterschiedlichen Perspektiven ausleuchten und plausible Zusammenhänge aufzeigen. Das funktioniert natürlich nicht bis ins kleinste Detail. Es sind kurze Sequenzen, ohne Anspruch auf das vollständige Erfassen der Komplexität. Manches deutet sich lediglich an, zum Beispiel der Aspekt politischer oder wirtschaftlicher Interessen. Hinter den Szenen wird auf jeden Fall eine verzwickte Gemengelage deutlich, die zum weiteren Nachhaken anregt.

„Senkungen“ will kein ausgetüfteltes Drama sein, die gut arrangierte Collage setzt Impulse, holt die lokale Realität ins Theater, bricht sie raffiniert mit künstlerischen Mitteln und lädt ein zum bürgerschaftlichen Engagement, lenkt das individuelle Objekt zum Subjekt, unterstreicht deutlich: Wir alle sind betroffen vom wankenden Lüneburg und können, sollten aktiv werden. Mit beachtlichem Einfühlungsvermögen entwickelten das Leitungsgespann und die Darsteller ein flammendes Plädoyer, das die Zuschauer beherzt aufnahmen.