... „lunatiks produktion“, ein Kreativteam, das bereits zwischen Basel und Kiel ambitionierte Vorhaben realisierte, (hat) nun in Lüneburg ein Recherche-Resultat dramaturgisch geschickt ausgestaltete: „Senkungen — Das Stadtprojekt über eine Stadt auf schwankendem Grund“ lautete der lange Titel, produziert im Theater-Studio, dem T.NT, wo die Uraufführung mit Begeisterung aufgenommen wurde.
„Senkungen“ will kein ausgetüfteltes Drama sein, die gut arrangierte Collage setzt Impulse, holt die lokale Realität ins Theater, bricht sie raffiniert mit künstlerischen Mitteln und lädt ein zum bürgerschaftlichen Engagement, lenkt das individuelle Objekt zum Subjekt, unterstreicht deutlich: Wir alle sind betroffen vom wankenden Lüneburg und können, sollten aktiv werden. Mit beachtlichem Einfühlungsvermögen entwickelten das Leitungsgespann und die Darsteller ein flammendes Plädoyer, das die Zuschauer beherzt aufnahmen.
Niedersächsische Landeszeitung - 09. Februar 2016
„Senkungen“ feiert Premiere
Senkungen lautet das nüchterne Stichwort. Es beschreibt einen an sich ärgerlichen Zustand: ein Teil der Altstadt sackt ab, verschiebt die Topografie. Die Erde grummelt, irgendetwas stimmt offenbar nicht. Es handelt sich um den Boden über dem jahrhundertelang sehr profitablen Salzstock. Er garantierte früher einigen Bürgern immensen Reichtum und belastet heute die Bewohner. Bei den Ursachen tappen Experten im Dunkeln. Das Phänomen hält unvermindert an, sorgt für Abrisse und Umleitungen. Lässt sich daraus Theater machen?
Das berühmte Berliner Kollektiv „Rimini-Protokoll“ beweist das nachdrücklich, bekommt für seine szenischen Dokumentationen internationale Anerkennung. Diesen Pfaden folgt „lunatiks produktion“, ein Kreativteam, das bereits zwischen Basel und Kiel ambitionierte Vorhaben realisierte und nun in Lüneburg ein Recherche-Resultat dramaturgisch geschickt ausgestaltete: „Senkungen — Das Stadtprojekt über eine Stadt auf schwankendem Grund“ lautete der lange Titel, produziert im Theater-Studio, dem T.NT, wo die Uraufführung mit Begeisterung aufgenommen wurde.
Kein Klo, kein fließendes Wasser, keine Wärmedämmung, so umschrieb sich die Wohnsituation in der Altstadt bis in die 60er-Jahre. Den Bau-Jammer sollten Abrissbirnen in den Imperfekt befördern. Es gab Proteste, bald folgten Initiativen zur systematischen Sanierung des ramponierten Quartiers. Eine Erfolgsgeschichte begann, allerdings nicht für Geologen. Nach wie vor senkt sich das Areal, besonders verhängnisvoll in der Frommestraße.
Janette Mickan und Melanie Zemmler bauten aus wissenschaftlichen Erkenntnissen, historischen Tatsachen, politisch relevanten Fragen, ökonomischen Bedürfnissen und soziologischen Kontexten ein Szenario, das mit wenigen Requisiten (Bühne/Kostüme: Barbara Bloch) auskommt und ein Video optisch ins Zentrum holt. Darin taucht Hannes (Gregor Müller) auf, ein wissbegieriger Architekt, der die gefährlichen Bodenbewegungen erforschen will. Eine junge Frau sucht ihn vergebens, stößt auf das Filmmaterial und startet ihre eigene Recherche.
Eine aufregende Reise durch Ort und Vergangenheit ist die Folge, angereichert durch Begegnungen mit verschiedenen Menschen. Sie bilden die eigentlichen Protagonisten, erzählen von ihren Sorgen und Bedürfnissen, Erfahrungen und Einsichten, sehr authentisch verkörpert von Sigrid Meßner, Beate Weidenhammer, Nils Bannert und Paul Seegers.
Aufrisse, die von Träumen und Räumungen, von Hoffnungen und Enttäuschungen berichten: Biografische Schnipsel, die das gesamte Problem aus unterschiedlichen Perspektiven ausleuchten und plausible Zusammenhänge aufzeigen. Das funktioniert natürlich nicht bis ins kleinste Detail. Es sind kurze Sequenzen, ohne Anspruch auf das vollständige Erfassen der Komplexität. Manches deutet sich lediglich an, zum Beispiel der Aspekt politischer oder wirtschaftlicher Interessen. Hinter den Szenen wird auf jeden Fall eine verzwickte Gemengelage deutlich, die zum weiteren Nachhaken anregt.
„Senkungen“ will kein ausgetüfteltes Drama sein, die gut arrangierte Collage setzt Impulse, holt die lokale Realität ins Theater, bricht sie raffiniert mit künstlerischen Mitteln und lädt ein zum bürgerschaftlichen Engagement, lenkt das individuelle Objekt zum Subjekt, unterstreicht deutlich: Wir alle sind betroffen vom wankenden Lüneburg und können, sollten aktiv werden. Mit beachtlichem Einfühlungsvermögen entwickelten das Leitungsgespann und die Darsteller ein flammendes Plädoyer, das die Zuschauer beherzt aufnahmen.
So wurde dem Publikum gestern ein virtuelles und fiktives Panorama Lüneburgs präsentiert, das Lüneburgs Senkungsgeschichte auf eine ganz neue Art thematisiert. Ein interessanter und ungewöhnlicher Theaterabend, der noch bis Anfang Mai auf dem Spielplan steht. Ein Muss für jeden bekennenden Lüneburger!
Lüneburg aktuell - 06. Februar 2016
Lüneburgs Häuser erzählen
Das Thema „Senkungen“ ist in Lüneburg allgegenwärtig. Kaum eine Touristengruppe, die von den Stadtführern nicht an die so genannte Abbruchkante geführt wird, um mit leichtem Schaudern die Schäden zu betrachten, die die jahrhunderte lange Salzförderung bei etlichen Häusern in der Altstadt hinterlassen hat. Nun hat sich Berliner Gruppe mit dem passenden Namen «lunatiks produktion» des allgegenwärtigen Themas angenommen und präsentierte die Ergebnisse in der neuen Produktion „Senkungen“, die gestern, 5. Februar, ihre begeistert aufgenommene Premiere im T.NT Studio feierte.
Schon bevor es richtig losgeht, flimmern Videofilme über eine transparente Leinwand, die gleichzeitig die Bühne und die Zuschauergruppen in zwei Hälften teilt. Vieles erkennt das Publikum wieder, es sind alte und neue Ansichten ihrer Heimatstadt. Und so erzählt auch das anschließende Stück von der Stadt für die Stadt. Es ist eine Geschichte, die ohne die Bürger der Stadt nicht möglich gewesen wäre. Szenen und Dialoge beschäftigen sich etwa mit dem Räumungen und anschließenden Abrissarbeiten in der Frommestraße. Es kommen ehemalige Bewohner zu Wort, aber auch ein Polizist schildert, wie er seine Einsätze empfunden hat. Dadurch entsteht eine Authentizität, die die damaligen Ereignisse wieder greifbar macht.
Auch bekannte Lüneburger Persönlichkeiten kommen, vertreten durch die Schauspieler, zu Wort und sind, zumindest für Zuschauer, die in der Stadtgeschichte ein bisschen bewandert sind, zu identifizieren. Im Mittelpunkt steht neben der westlichen Altstadt und dem Bereich Frommestraße auch der Ochtmisser Kirchsteig. Die Aufführung macht deutlich, wie sich in diesen Teilen Lüneburgs unter den Bewohnern eine gewisse Gelassenheit entwickelt hat. Hier regt man sich nicht über kleinere Risse oder schiefe Wände auf.
Das Berliner Produktionskollektiv lunatiks produktion entwickelt schon seit Jahren Theaterprojekte, Performances und Installationen, die sich als Forschungsarbeit mit den Mitteln des Theaters begreifen. Die Projekte setzen sich mit historischen Ereignissen, Schauplätzen und Biographien oder mit aktuellen gesellschaftlichen Phänomenen auseinander. Ausgangspunkt sind wie jetzt auch in Lüneburg stets umfangreiche Recherchen, Gespräche mit Beteiligten und Experten sowie Archivarbeit.
So wurde dem Publikum gestern ein virtuelles und fiktives Panorama Lüneburgs präsentiert, das Lüneburgs Senkungsgeschichte auf eine ganz neue Art thematisiert. Ein interessanter und ungewöhnlicher Theaterabend, der noch bis Anfang Mai auf dem Spielplan steht. Ein Muss für jeden bekennenden Lüneburger!